REITERJOURNAL-EXTRA 2018 - Sonntag

Otto Becker, dieses Jahr war für den deut- schen Springsport außerordentlich erfolg- reich – ist das ungewohnt für Sie? Otto Becker: Wir haben uns sehr über die- sen Erfolg des jungen Teams gefreut. Aber es gab auch schon früher erfolgreiche Jahre. Ich erinnere nur an unser Teambronze bei den Olympischen Spielen in Rio. Und in an- deren Jahren waren wir auch nah’ dran. Es ist im internationalen Springsport eben sehr eng an der Spitze, auch diesmal in Tryon hat ein einziger Abwurf wieder über eine Me- daille entschieden. Aber so gut lief es schon lange nicht mehr? Das stimmt, wir sind auch sehr zufrieden. Die Erfolge von Tryon haben unsere kühns- ten Erwartungen übertroffen. So banal es klingen mag, manchmal braucht man ein- fach einen Lauf und das berühmte Quänt- chen Glück zum Erfolg. Vor zwei Jahren nach Rio sah noch alles nach Krise aus, jetzt ist alles anders, oder? Das war keine Krise. Ein Umbruch eröffnet neue Chancen. Nach Rio sind wir ja noch mit einem erfahrenen Team gefahren, danach standen die Paare aus verschiedenen Grün- den nicht mehr zur Verfügung. Wir mussten neu aufbauen und dabei hatten wir das Glück, dass die neuen Paare auch die rich- tige Qualität aufgewiesen haben. Die Konstellation in Tryon war ja eher schwierig, drei junge Sportler und nur ein Routinier in Person von Markus Ehning? Ja stimmt. Aber nicht, weil die Qualität nicht gereicht hätte, sondern nur weil die Erfah- rung gefehlt hat. Ludger Beerbaum wurde der „Leitwolf“ ge- nannt, ist das jetzt Markus Ehnings Rolle? Naja, wir scherzen immer, Markus ist eher der „Leitfuchs“. Aber im Ernst: Es war vor- bildlich, wie Markus in Tryon und zuvor al- len geholfen hat. Er hat sich immer in den Dienst der Mannschaft gestellt. Und die jun- gen Teammitglieder haben alles von ihm an- genommen und ihm immer voll vertraut. Ist die Bundestrainer-Aufgabe mit einem jungen Team schwieriger? Auf eine Art und Weise schon. Wir sind die Abläufe eines Championats zuvor einmal in Ruhe durchgegangen, damit jeder Sicherheit hat. Ein Ludger Beerbaum oder ein Christian Ahlmann wären den Parcours abgegangen und losgeritten. Das konnte ich jetzt natür- lich nicht voraussetzen. Wie konnte Simone Blummit Alice so souve- rän gewinnen? Spielte da ein Stück Unbe- kümmertheit der Championats-Debütantin mit hinein? Sie ist schon mit einem starken Selbstbe- wusstsein in Tryon angekommen. Hansi (Si- mone Blums Ehemann, Anm.d. Red.) hat mir schon vier Wochen vorher gesagt, dass sie gut in Form sind. Dann hat sie das mitge- nommen und einfach durchgezogen. So sou- verän habe ich das selten erlebt. Das hat auch dem ganzen Team gutgetan. Alle haben gemerkt: Das ist etwas Besonderes. Sie ist eine ausgezeichnete Botschafterin unseres Sports. Ist der Druck beim kommenden Championat nun größer nach diesen Erfolgen? Nein, der Druck ist immer da, und wir haben ja jedes Jahr selbst einen hohen Anspruch. Aber es geht bei jedem Championat von vorne los. Auch dieses Jahr hing es ja an ei- nem einzigen Abwurf. Einer mehr, hätten wir keine Medaille mehr bekommen. Einer weni- ger, hätten wir Gold gewonnen. So eng ist es da oben. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, insbesondere in Richtung Tokio. Vor allem müssen alle Pferde und Reiter ge- sund bleiben, das haben wir bei früheren Championaten auch schon anders erlebt. Die lukrativen internationalen Serien mit ih- ren hohen Preisgeldern sind für die Reiter natürlich wichtig. Wird die Konkurrenz für die Championate nicht immer größer? Doch, das stimmt natürlich. Aber bisher ha- ben alle meine Reiter trotz der Global Cham- pions Tour immer gezielt auf das Champio- nat hingearbeitet. Die Wertigkeit ist bei uns eigentlich klar. Aber es stimmt, das Turnier- management wird immer wichtiger, auch das ist eine wachsende Aufgabe des Bundes- trainers und natürlich auch der Reiter. Ent- weder man hat genügend gute Pferde, um beides parallel zu schaffen, oder man muss sich entscheiden. Apropos, wie soll das bei Alice gehen, Si- mone Blum hat im Moment kein annähernd vergleichbares zweites Pferd? Das geht schon, Simone und Hansi sprechen sich mit mir ab. Wir haben vereinbart, dass Alice nach Tryon in diesem Jahr drei Hallen- turniere gehen wird. Das sind Verona, Stutt- gart und Genf. Dann entscheiden wir in Ruhe, ob und wie es in Richtung Weltcup- Finale weitergeht. Diese Situation hatten wir immer mal wieder, zum Beispiel bei Carsten- Otto Nagel. Das ging auch gut. Aus Baden-Württemberger Sicht gefragt: Unser Hans-Dieter Dreher war diesmal als Ersatzmann schon mal dabei. Was trauen Sie ihm noch zu? Zunächst einmal möchte ich sagen, dass sich Hansi und sein Pfleger Stefan in Tryon super verhalten haben. Sie haben überall geholfen und sich in den Dienst der Mannschaft ge- stellt. Das war vorbildlich. Ich denke, das hat auch ihm gut getan. Er hat dazugehört. Ich rechne mit ihm in den nächsten Jahren. (Das Gespräch führte Roland Kern) Interview mit Springreiter-Bundestrainer Otto Becker „Weiter unsere Hausaufgaben machen“ mache Seite 42 Rei ter journal -Ext ra Sonntag, 18. November 2018 Foto: TOMsPic

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