REITERJOURNAL-EXTRA 2022 - Donnerstag

Seite 36 Rei ter journal -Ext ra Donnerstag, 10. November 2022 Es ist morgens halb neun in Pfungstadt, ein herrlich klarer Herbstmorgen. Richard Vogel und Sophie Hinners sind seit halb sieben auf den Beinen – eher auf dem Rücken. Zwei Pferde hat jeder schon geritten auf dem großen Springplatz des Prinzenberg-Gestütes. Auf dem Hof stehen zwei Pferdetransporter. Zwei junge Mädchen beladen die Fahrzeuge mit Heu und Stroh. Es wird Englisch gesprochen – und viel gelacht. Als die Reiterjournal-Fotografin das junge Traumpaar der deutschen Springreiterei romantisch unter einen herbstbunten Baum drapiert, kommt ihnen das ungewohnt vor. Ist es auch. Für solche Dinge haben sie ansonsten keine Zeit. Das Leben der beiden Profireiter ist rastlos und denkbar eng getaktet. Es ist ein Leben, das sich zu einem nicht geringen Teil auf Autobahnen und Flughäfen abspielt, in Stallzelten, auf Abreiteplätzen und in der Schlafkabine des Pferde-LKW – ein Leben zwischen Stangen und Schleifen. Und doch: Wer sich von Sophie Hinners und Richard Vogel durch den Stall führen lässt – in Pfungstadt und Dagobertshausen, weil ein Stall für den ganzen Betrieb gar nicht reicht – der spürt keinen Stress und keine schlechte Laune. In einem Alter, in dem andere Leute gerne mal die Sau raus lassen, meistern die 24-jährige in der Nähe von Bremen geborene Sophie Hinners und der 25-jährige gebürtige Oberschwabe Richard Vogel ihren Alltag zuhause und auf den Turnierplätzen dieser Welt bestens organisiert. „Klar ist es manchmal anstrengend“, lachen sie, „aber wir wollen es ganz genau so“. 17 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – die Chefs Richard Vogel und David Will eingerechnet – halten den Betrieb am Laufen und den Rubel am Rollen. Sechs Pferdetransporter sind fast immer auf Achse. Immer geht es irgendwo hin. 35 Pferde werden in Pfungstadt trainiert, etwa 30 in Dagobertshausen. Alle sind wertvolle Turnierpferde, die im Training vor allem eins werden sollen: noch wertvoller! Vogel macht keinen Hehl daraus: „Die Einnahmen aus Beritt und den Preisgeldern decken gerade mal unsere Kosten, wir leben vom Handel, vom Verkauf der Pferde.“ Auf der Suche nach Geschäftsmodellen ist er durch und durch der clevere Schwabe geblieben. Zum Beispiel kauft er regelmäßig im Paket junge Pferde von guten Züchtern, lässt sie in der alten Heimat aufwachsen, reitet sie – selbst! – ein und bereitet sie auf die ersten Turnierstarts vor, wo sie meistens schnell einen Käufer finden. Da er mittlerweile ein besonderes Gespür für große Talente hat, ist die Gewinnspanne ordentlich. In der Stallgasse hängt eine Lacktafel, auf der eine kompliziert aussehende Tabelle gemalt ist. In der vorderen Spalte die Pferdenamen, dahinter in verschiedenen Farben Symbole und Buchstaben. Darauf ist vermerkt, welches Pferd von wem geritten wird, ob es zum Beispiel schon in der Führanlage oder auf der Koppel war. Wer ein solches Pensum hat wie Hinners und Vogel, muss gut organisiert sein. „Das ist Sophies Werk“, schmunzelt Vogel, „ohne sie hätten wir eher Chaos.“ Nur einen Teil der Turnierorganisation haben sie „outgesourct“. Die Planung der Routen, die Einsätze der LKW auf dem Weg zum Turnier, Zwischenübernachtungen, Hotelzimmer, die Korrektheit der Pferdepässe – das übernimmt Simone Lynch in Münster. Sophie Hinners lebt überwiegend in Pfungstadt (wenn gerade kein Turnier ist), Richard Vogel pendelt zwischen Dagobertshausen und dem Gestüt Prinzenberg in Südhessen. Er hat hier und dort jeweils einen Kleiderschrank, ein Bett und eine Zahnbürste. Beide Profireiter besitzen zwischen 15 und 20 Reithosen, so dass sie manchmal erst nach drei Turnieren einen Waschtag einlegen müssen. Ein normales Leben ist das nicht, sie wollten es auch gar nicht. „Ich kann mich nicht erinnern, dass wir mal zusammen vor dem Fernseher sitzen oder so“, grinst Vogel, der bald für einige Wochen nach Wellington in die USA für eine Turnier-Serie fliegen wird. Nur an Weihnachten möchte er seine Heimat besuchen, davor beim Frankfurter Festhallenturnier starten. Ein Klacks! Roland Kern Ein Leben zwischen den Schleifen Rastlos und dennoch nie im Stress – Sophie Hinners und Richard Vogel meistern ihren Alltag im Stall und auf Turnieren perfekt organisiert. Beide träumen vom Championats-Einsatz. Foto: Doma

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